"Kann ich Papa noch mal besuchen?"
​
Max Papa ist vor 2 Tagen ganz plötzlich gestorben. Die Mama hat uns gerufen, weil sie nicht wusste, wie sie es ihrem kleinen 5-jährigen Sohn sagen soll.
Beim ersten Gespräch habe ich ihr ans Herz gelegt, dass es gut für Max wäre, seinen Papa noch einmal zu sehen, um sich von ihm verabschieden zu können. Wie fast jeder Erwachsene reagierte die Mama erst einmal erschrocken und ablehnend.
Als Max dann 2 Stunden später vom Tod seines Papas erfuhr, war seine erste Frage: „Können wir Papa noch mal besuchen?“
Das hat dann auch die Mama von meinem Vorhaben überzeugt. Zur Unterstützung werde ich mitgehen, denn sie weiß noch nicht, ob sie sich auch am offenen Sarg verabschieden kann.
Eine Woche später stehen wir im Bestattungshaus. Wir werden schon erwartet und alles ist kindgerecht vorbereitet. Auch die Mama ist dabei.
Die ersten 5 Minuten ist Max noch etwas zurückhaltend. Traut sich noch nicht wirklich bis zum Sarg. Doch dann siegt seine Neugier. Gemeinsam hocken wir uns zum Papa und: ja, das ist tatsächlich sein Papa, stellt er fest. Papa sieht fast aus wie immer.
Und von da an schießen 2 Stunden Fragen in meine Richtung, die Max wahrheitsgemäß beantwortet haben will.
Warum sind die Augen zu? Hört Papa uns? Was passiert, wenn ich die Haare anfasse? Warum ist Papa so kalt? Warum sind die Ohren so blau? Können wir die Decke mal weg machen von den Beinen? Warum liegen seine Finger so komisch da? Wann wird Papa verbrannt? Fragen über Fragen. Eine wichtiger als die andere.
Mittlerweile bewegt sich Max ganz frei im Raum, als wäre es das natürlichste auf dieser Welt. Er malt ein Bild für den Papa, er bastelt einen Papierflieger, er schreibt seinen Namen auf Holzherzen. Läuft um den Sarg herum, um Papa von allen Seiten immer wieder betrachten zu können. Legt seine Geschenke dem Papa auf den Bauch, in die Hände, an den Hals. Alles unter den staunenden Augen seiner Mama.
Nach über 2 Stunden, die wie im Flug vergangen sind, beschließt Max von allein, dass es jetzt Zeit ist zum Gehen. Noch einmal nehmen wir alle 3 ganz bewusst Abschied.
Es ist wichtig, Kindern einen Abschied von dem Verstorbenen zu ermöglichen. Ganz besonders, wenn der Tod plötzlich kommt. Wie soll ein Kind verstehen, was passiert ist, wenn gestern noch alles gut war? Um zu begreifen, muss man verstehen. Verstehen, dass das Herz nicht mehr schlägt, dass der Atem nicht mehr geht, dass die Haut kalt ist. Und das geht nur, wenn man es selbst fühlt und sieht.
Für Erwachsene ist es meist erst einmal unvorstellbar, wenn wir ihnen so eine Abschiedsnahme empfehle. Kinder sind offen, neugierig und noch ganz unvoreingenommen. Sie haben keine Angst vor der Situation.
So ein Abschied kann nie wieder nachgeholt werden und er bedeutet einen Meilenstein in der Trauerverarbeitung.
Nehmen wir uns ein Beispiel an den Kindern, trauen wir uns.
Als wir den Raum verlassen, möchte ich mich noch einmal umdrehen und winken. Doch Max geht ohne einen Blick zurück aus der Tür, geradewegs ins Leben. Ich mache es ihm einfach nach.