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Junikäfer im Dezember

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Im Dezember 2017 - einen Tag vor Heiligabend - besuchte ich zum ersten Mal eine junge Familie, in der Katja, die Mama von Martha, zwei Wochen zuvor eine niederschmetternde Diagnose erhielt: Ein fortgeschrittener, aggressiver Tumor in der Lunge...

Als ich mit der Mama und dem Papa am Tisch saß, der Weihnachtsbaum schon geschmückt und beleuchtet war, wussten wir alle: das wird ihr letztes gemeinsames Weihnachten sein. Ihre damals gerade dreijährige Tochter machte im Kinderzimmer Mittagsschlaf und ahnte noch nichts von dem, was kommen sollte.

Es berührte mich sehr - eine junge Mama, die nicht um ihr bald endendes Leben trauerte, sondern zutiefst besorgt war um das Leben ihrer Tochter. So viel Angst, Schuldgefühl, Hilflosigkeit und Trauer hatte sie bei dem Gedanken daran, die Kleine zurück und ohne Mama aufwachsen lassen zu müssen.
Und doch war sie unglaublich stark und klar. Sie selbst war diejenige, die uns angerufen hat - sie wollte schon vor ihrem Tod sicher gehen, dass es nach ihrem Tod jemanden gibt, der ihre Tochter und ihre Familie unterstützt. So war sie nun auf der Suche nach der passenden Begleitung - und dabei auf Wolfsträne gestoßen.

Wir sprachen über die Krankheit, über ihre Wünsche und Ängste, wir sprachen über das bevorstehende Weihnachtsfest, über den Jahreswechsel, über das Sterben und den Tod, über Wahrheiten und Ehrlichkeit.
Katja wusste nicht, wann und schon gar nicht, wie sie es ihrer kleinen Martha sagen sollte, dass sie bald sterben wird. Ich habe ihr an‘s Herz gelegt, mit der Wahrheit nicht zu lange zu warten - für so eine Wahrheit gibt es schließlich nie den richtigen Zeitpunkt. Es aber tage-, oder sogar wochenlang mit sich herumzutragen, macht alles noch unerträglicher. Es belastet die eigene Seele noch mehr und die Kinder spüren meist schon längst, dass etwas ganz und gar nicht stimmt. Sie nehmen die Stimmungen wahr, hören und sehen Dinge, die sie nicht verstehen können, weil es noch Geheimnisse sind und schließen meist daraus, dass sie die Schuldigen an der so seltsamen und veränderten Situation sind. Deshalb ist es besser, zeitnah und ehrlich mit den Kindern zu sprechen, sie ganz bewusst „mit ins Boot zu nehmen“, auch wenn sie so klein sind wie Martha.

Martha erwachte irgendwann aus ihrem Mittagsschlaf und es dauerte nicht lange, dass sie mir ihr Lieblingsbuch zeigte. Für die Mama ein Zeichen, dass sie mich mag und mir vertraut. Und so stand schnell fest: Wolfsträne hat das Vertrauen von Katja gewonnen und ich darf Martha und die Familie von nun an begleiten.

Im Juli 2018 starb die Mama.

Martha saß in den letzten Monaten mit „im schwankenden Boot“ und oft war sie der heimliche Kapitän, der es steuerte und vor dem Untergehen bewahrte. 
Katja konnte sich lange nicht mit dem Gedanken anfreunden, dass sich ihre Tochter nach ihrem Tod noch einmal von ihr verabschieden darf. Diese Vorstellung war für sie unheimlich und abschreckend. Und auch da lenkte Martha das Boot und gab allen zu verstehen, dass sie das braucht und gut verkraftet. Die Mama willigte nur wenige Wochen vor ihrem Tod dieser besonderen Abschiednahme ein...

An dieser Stelle wünsche ich mir einfach, dass Marthas Mama spüren und sehen konnte, wie wundervoll und wichtig es für ihre kleine Tochter war, sich von ihr zu verabschieden...

Diese Woche waren wir gemeinsam mit dem Papa auf dem Friedhof. Martha hat vorher eine Grabkerze gestaltet und wollte sie mit den Lieblingstieren der Mama bemalen: Junikäfer!
So schmücken nun zahlreiche bunte Mama- Papa- und Baby-Junikäfer die Kerze. Dazu hat sie noch eine Wiese und einen Lavendelstrauch gemalt und zum Schluss ihre Mama, die dort mitten auf dieser Wiese - umgeben von Junikäfern - steht.

In der Zeit, als Katja starb, gab es so viele Junikäfer in Leipzig, wie ich es noch nie in meinem Leben erlebt habe………..und selbst im Dezember fliegen sie dieses Jahr - für Katja, Martha und alle, die Katja so sehr vermissen..

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